Chiharu Shiota
Die Arbeit von Chiharu Shiota im Lichthof der Kunsthalle Rostock wird bis zum 17.09.2017 zu sehen sein.
Die Kunsthalle Rostock präsentiert die erste Retrospektive der in Berlin lebenden japanischen Künstlerin Chiharu Shiota „Unter der Haut/Under the Skin“, die anlässlich des 20-jährigen Jubiläums ihres Aufenthaltes in Deutschland konzipiert wurde. Die Ausstellung wird von Tereza de Arruda kuratiert, die seit 2010 mit der Künstlerin arbeitet und u.a. ihre Einzelausstellung „Searching for Destination“ (2015) im SESC São Paulo kuratierte, so wie ihre Beteiligung an die Gruppenausstellung „In your Heart/In your city“ (2016) im Køs Museum of art in public spaces in Dänemark. Chiharu Shiota wurde 1972 in Osaka geboren. Zuerst studierte sie an der Kyoto Seika University Malerei. Schon damals spürte sie, dass die Malerei ihren künstlerischen Drang nicht befriedigen konnte. Ihren ersten Auslandsaufenthalt verbrachte sie von 1993 bis 1994 an der Canberra School of Art in Australien. In diesem Kontext entstand ihre erste Performance Becoming Painting – hier befreite sie sich von konventionellen Bildträgern, machte ihre Existenz zur Hauptprotagonistin ihrer Kunstwerke und schuf eine direkte Bildsprache zur Vermittlung ihres Oeuvres. Bei Becoming Painting verwandelte sich Chiharu Shiota mithilfe von weißem Stoff und roter Emaillefarbe in einen Teil eines Gemäldes. So verwirklichte sie einen Traum, den sie einige Nächte zuvor hatte, sowie ihren Wunsch, ihre künstlerische Perspektive zu erweitern. Diese erste Performance prägte ihr Leben. Die Arbeit wurde fotografisch dokumentiert, die uns Betrachtern heute das Bild eines fragilen, rot imprägnierten Körpers zeigen. Uns starrt ein distanziertes und verängstigtes Mädchen an. Während des Austauschjahres in Australien entstand auch Accumulation – ein Gewebe aus schwarzen Fäden, das einen Raum im Raum kreierte. Sichtbare Knoten verknüpften einzelne Linien, Gedanken und Spuren, die den mühsamen und zeitlich anspruchsvollen Herstellungsprozess in sich verbergen.Nach dem Abschluss des Studiums in Japan war sich die junge Künstlerin sicher, dass sie sich nicht nur von der traditionellen Malerei, sondern auch von ihrer lokalen Umgebung trennen musste, um ihren eigenen Weg zu gehen. Sie studierte zwischen 1997-1999 Bildende Kunst an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig und in den Jahren 1999-2003 an der an der Hochschule der Künste Berlin.
Spätestens seit 2015, als sie den japanischen Pavillon auf der Biennale von Venedig bespielte, ist Chiharu Shiota eine der gefragtesten Künstlerinnen der Welt. Den mühsamen Weg dorthin verfolgte sie konsequent und sorgfältig. Sie gilt als die erste außerhalb Japans lebende Künstlerin, die den nationalen Pavillon in Venedig bespielen durfte. Die Ausstellung „Unter der Haut/Under the Skin“ zeigt über 60 Werke von Chiharu Shiota, die seit 1993 entstanden sind. Darunter werden Fotografien, Videos, Zeichnungen, Druckgrafiken und Objekte präsentiert, die die Laufbahn der Künstlerin widerspiegeln. Diese wurden aus dem privaten Archiv der Künstlerin ausgesucht und dokumentieren sorgfältig die einzelnen Stationen ihrer Werke. Da die Mehrheit ihrer Arbeiten ortsspezifisch ist und temporären Charakter hat, existieren viele Werke nur noch im Gedächtnis der Betrachter und leben im Labyrinth der kollektiven Erinnerungen weiter. Ihre reelle Abwesenheit wird dadurch überwunden. Für den WhiteCube der Kunsthalle Rostock kreierte Chiharu Shiota eine ortsspezifische Installation namens „Letters of Thanks“. Dafür wurden Dankesbriefe in einer lokalen, Kampagne gesammelt und zusammen mit verschickten Briefen aus Japan, Dänemark und Brasilien, wo sie diese Arbeit schon realisiert hat, in die Installation der Kunsthalle Rostock integriert. Der Realisierung dieser Arbeit ging als Impuls die Dankbarkeit der Künstlerin gegenüber ihrem persönlichen Kontext voraus. Sie überträgt ihre eigenen Erfahrungen in einen Versuch, die Menschen dazu anzuregen, Gefühle, die schwer zu formulieren sind, in Worte zu fassen. Durch die Verwendung der neuen Medien sind die Beziehungen virtuell und abstrakter geworden. Die Geschwindigkeit von SMS, WhatsApp, WeChat, Facebook, Twitter und anderer Kommunikationsmedien verhindert die Auswahl spezifischer und persönlicher Begriffe. Das Briefeschreiben soll hier Teil des Entschleunigungsprozesses der Ausstellungsteilnehmer werden. Die Empfänger der Briefe sind Gott, Familienmitglieder, Freunde, das Universum...
Die Absender entscheiden freiwillig, ob sie anonym bleiben wollen oder sich offen durch ihre Unterschrift präsentieren. Am Ende wurden die Briefe in eine schwebende leere Struktur aus schwarzen Fäden integriert. Diese schafft neue Verbindungen, Nischen und ein Gefühl von Geborgenheit in dem Ausstellungsraum. Die Künstlerin ist glücklich, wenn sie damit Emotionen ihres Publikums weckt. Eine weitere ortsspezifische Installation ist im Plastiksaal platziert. Die Besucher werden von einer Wolke aus schwebenden weißen Booten empfangen. Ihre Strukturen sind aus Netzen geformt, sodass die Objekte durchsichtig sind. In der Hansestadt Rostock sind Boote Bestandteil der lokalen Geschichte. Seit ihrer Beteiligung an der Venedig Biennale vor zwei Jahren sind für Chiharu Shiota Boote ebenso Bestandteil ihres künstlerischen Oeuvres. Abgesehen von der Funktion erinnert die Form an halb geschlossene Hände, die das Persönliche und Private empfangen und aufbewahren. Die Retrospektive “Unter der Haut/Under the Skin” präsentiert die in den letzten zwanzig Jahren entstandenen Werke von Chiharu Shiota. Sie zelebriert damit ihren 20-jährigen Aufenthalt in Deutschland. Gleichzeitig sollen die gesammelten Erinnerungen und Anregungen als Bestandteil zukünftiger Transzendenz ins kollektive Gedächtnis übergehen.
Neu im Shop! Gebundener Katalog zur Ausstellung "Chiharu Shiota - Unter der Haut"
Wolfgang Mattheuer
Markus Matthias Krüger
Nil Auslaender
Sibylle
Hermann Glöckner
Erzähl mir Märchen!